Deutsch-Französisches Institut
Arbeitsgemeinschaft, Elternvereinigung und Förderverein der Gymnasien mit zweisprachig deutsch-französischem Zug in Deutschland (LIBINGUA)

Anspruch und Wirklichkeit

Die städtebauliche Idee des Bebauungsplanes der Neustadt ging von einer breiten Magistrale mit links- und rechtsseitig angeordneten und industriell zu errichtenden 7 Wohnkomplexen gleichen funktionellen Aufbaus sowie zentralen und repräsentativen gesellschaftlichen Bauten aus, die überwiegend sowohl im Zentrum als auch entlang der Magistrale errichtet werden sollten. Die fehlende städtebauliche Anbindung an die Altstadt sollte durch eine breite Fußgängerzone vom Neustadt-Zentrum zum Altstadtmarkt über einen zwischen den beiden Stadtteilen liegenden Kulturpark geschaffen werden.

In jedem mit großzügigen Grünflächen versehenen Wohnkomplex waren 3- bis 4geschossige Wohnbauten für 3500 bis 4000 Einwohner sowie als Mittelpunkt und gesellschaftliches Zentrum das 1 geschossige, sogenannte Versammlungshaus mit angeschlossener Gaststätte vorgesehen. Innerhalb des Wohnkomplexes sah der Bebauungsplan 1 geschossige Ladengruppen und am Rande als Übergang zur umgebenden Landschaft niedrig gehaltene Schulen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Kinderkrippen, Großgaragen und Wäschereien vor, die über breite Fußwege erreicht werden konnten. Außerdem waren Sport- und Spielplätze geplant. Mit schmalen Stichstraßen aus den Wohnkomplexen heraus sollte der fließende Verkehr bewältigt werden. An städtisch zentral zu nutzenden und zum Teil repräsentativen Bauten enthielt der Bebauungsplan:

  • mehrere städtebaulich dominante Verwaltungsgebäude
  • mehrere vielgeschossige Hotelbauten
  • ein Mehrzwecktheater (Kulturhaus)
  • mehrere Branchen-Kaufhäuser und eine Markthalle
  • ein neues Krankenhaus
  • 2 vielgeschossige Ledigen-Wohnheime
  • zentrale Sportstätten
  • einen Neustadt-Bahnhof.

Für die Altstadt-Bebauung wurden 1955/ 56 3 neue Wohngebiete als notwendiger Vorlauf für den Baubeginn der Neustadt in traditioneller Bauweise mit ca. 1200 Wohneinheiten (WE), zwei Schulen, Sportplätzen, Kindertagesstätten, Kinderkrippen, dem Neubau der Oberschule, einer weiteren Grundschule südlich der Bahn, einem Jugendklubhaus und dem Neubau eines Festsaales am ehemaligen Schützenhaus geplant.

Für den späteren zeitlich versetzten Aufbau einer städtischen Versorgungsindustrie war das verkehrstechnisch günstige Gebiet östlich von Klein-Neida vorgesehen.

Damit der regionale Verkehr, insbesondere der Berufsverkehr, von den Hauptwohngemeinden des Gebietes zu den umliegenden Tagebauen und dem Veredlungskombinat zügig abgewickelt werden konnte, sah das Verkehrskonzept einen Eisenbahn-Ringschnellverkehr vor, der Hoyerswerda, Senftenberg, das Veredlungskombinat und die Tagebaue im Einzugsbereich verbinden sollte. Die beabsichtigte Erweiterung der Altstadt und der Bau der Neustadt mit 7 Wohnkomplexen sollten im Wesentlichen bis 1963 mit einem Kostenaufwand von 770 Mio. DM verwirklicht werden, wobei das benötigte umfangreiche Bauland durch zwangsweise Enteignung per Aufbaugesetz mit Entschädigungszahlungen weit unter dem damaligen Verkehrswert in der Kostenbilanz kaum zu Buche schlug.

Unzureichende Material- und Geldreserven sowie die fehlende Refinanzierung des eingesetzten Kapitals führten beim Aufbau der Neustadt bereits frühzeitig zu der Tendenz, vorzugsweise Wohnungen und jeweils verspätet nur die unbedingt notwendigen Folgeeinrichtungen zu Lasten ursprünglich vorgesehener urbaner Bauelemente zu errichten. So fiel beispielsweise das sogenannte Stadtzentrum von einem zum anderen Planungszeitraum dem Rotstift zum Opfer und blieb bis zum Ende der DDR in Ansätzen stecken. Das gleiche Schicksal erlitten auch die stadtbestimmenden Verwaltungsbauten, Hotels, Branchen-Kaufhäuser, die Markthalle, Neustadt-Bahnhof und Ringschnellbahn, Sportstätten u. a. Außerdem ergaben die volkswirtschaftlichen Bedingungen, daß die konzipierte Größe der Neustadt mit 7 Wohnkomplexen und 30000 Einwohnern flächenmäßig zu großzügig und einwohnerseitig viel zu gering geplant war.

Bereits 1963, dem ursprünglich vorgesehenen Bauende der Neustadt, sah der Plan für das gesamte Stadtgebiet 75000 Einwohner mit 2 weiteren Wohnkomplexen und Verdichtungsbebauung in den bisherigen Baugebieten, den freigehaltenen Flächen des Stadtzentrums und des Kulturparks sowie der Altstadt vor. Bei diesen Erweiterungsplänen für das Stadtgebiet ergaben sich aus der bisherigen Neustadtentwicklung große Schwierigkeiten, die teilweise nur durch städtebaulich unzureichende und teure Kompromisse überwunden werden konnten:

  • Die Aufreihung der Wohnkomplexe entlang der Magistrale konnte durch den erfolgten Kläranlagenbau westlich nicht weitergeführt werden.
  • Die unzulässige Unterschätzung des fließenden Straßenverkehrs ließ eine weitere Belastung der Magistrale nicht zu.
  • Der ebenfalls besonders unterschätzte ruhende Verkehr mit den geringen Parkmöglichkeiten innerhalb der Wohnkomplexe hatte am Ostrand der Neustadt zum Bau von Garagenkomplexen geführt. Zudem begrenzten der neue Friedhof und das neue Industriegebiet auf Zeißiger Flur eine Osterweiterung der Stadt.
  • Das stadttechnische, auf 54000 Einwohner konzipierte Versorgungsnetz erwies sich teilweise als ungeeignet für Erweiterungen, so daß auch großzügig angelegte Stadtteile in der Bebauung nicht verdichtet werden konnten.
  • Das vorhandene Handels- und Versorgungsnetz war wenig leistungsfähig und unattraktiv für die Einwohner. Ebenso degradierte das Fehlen der ursprünglich geplanten, aber nicht realisierten zentralen städtischen kulturellen und wirtschaftlichen Einrichtungen die „2. Sozialistische Wohnstadt" zu einer Schlafstadt,
  • Mit dem zunehmenden Wachstum der Neustadt wurde die Diskrepanz zwischen der ursprünglichen finanziellen Planung und der Realität offensichtlich, die durch mehrere sogenannte „Industriepreisreformen" und gestiegene Löhne bestimmt wurde. Gleichzeitig wuchsen die stark subventionierten Betriebskosten dieser volkseigenen Wohnungen an. Ihnen standen nur mehr oder minder symbolische Mieteinnahmen gegenüber, ein Zustand, der auch privaten Vermietern über Jahrzehnte zugemutet wurde.

Dieses Problem existierte DDR-weit, und es bedurfte einer Mietenreform, einem Tabu der sozialistischen Ideologie. Sie blieb nach realen Ansätzen in „westideologischer Gegenargumentation" stecken. Aus diesen Schwierigkeiten heraus konnte eine Stadterweiterungsplanung nur über weitere Flächen nördlich der bisherigen Bebauung unter Opferung von Wald und innerstädtischen Grünflächen - u, a, Teile des „Kulturparks", die ursprünglich für die Naherholung vorgesehen waren - sowie durch eine verstärkte Wohnbebauung im Stadtzentrum und in bestehenden Wohnkomplexen erfolgten.

Durch ein neues Verkehrskonzept mit einer 2. Magistrale wurde der neuen Situation Rechnung getragen. Durch diese veränderte Stadtentwicklung ergaben sich völlig neue funktionelle Beziehungen in der Gesamtstruktur der Stadt, aber damit konnte eine zukünftige Erweiterung der Stadt gewährleistet werden. Mit dem Bau der Wohnkomplexe 8 und 9 im Gebiet der Kühnichter Heide mit ca. 20.000 Einwohnern wurde diese, der ursprünglichen Bebauungsdichte kraß entgegenstehende Stadterweiterung begonnen und durch den Wohnkomplex 10 westlich der F97 auf Seidewinkler Gebiet fortgesetzt.

In der Altstadt tat sich außer der Formulierung von Planungsabsichten nichts, und Teile von ihr verfielen zusehends, was letzten Endes nur zum Abriß führte.

Quelle: Anspruch und Wirklichkeit : 40 Jahre Hoyerswerda-Neustadt 1955-1995 / [Hrsg. u. Red.: Gesellschaft für Heimatkunde e.V. Hoyerswerda]. - Hoyerswerda, 1995. - S. 6 - 8.